WARUM Kunst studieren? Und warum gerade Bühnenkunst?
Zu jeder Zeit hatte die Bühnenkunst eine starke Wirkung auf die Menschen. Sie eröffnete eine Welt, die sein könnte. Sie bot eine Möglichkeit hineinzuträumen, dabei aber wach zu bleiben. Sie ermöglichte ein Bühnenerlebnis, das neue Dimensionen erlebbar machte. Heute sehen wir auf den «Brettern, die die Welt bedeuten» (wie Friedrich Schiller die Bühne nannte) kaum andere Vorgänge als in unserem Alltag.
Wir wünschen uns eine Bühnenkunst,
- die sowohl das Individuelle als auch das Soziale erleben lässt
- die einerseits realistisch (nicht naturalistisch) ist und andererseits neue Perspektiven aufwirft und mit Dimensionen rechnet, die über den gewöhnlichen Kunstgenuss hinausführt; mit einem Wort Rudolf Steiners in Anlehnung an Goethe: «Nicht was ist, liegt also den Schöpfungen der Kunst zugrunde, sondern was sein könnte, nicht das Wirkliche, sondern das Mögliche.»
- die nicht elitär in Aufführungsräumen eingeschlossen ist, sondern unmittelbar zusammenhängt mit Lebensfeldern und den tieferen Fragen des Lebens.
WODURCH entsteht das Neue in der Bühnenkunst?
In der Sprache liegen die Kräfte, die dem Bühnengeschehen eine neue Dimension geben können. Schon die alten Griechen und die großen Lehrer der Akademie von Chartres sahen in ihrer auf die Sprache bezogenen Trivium-Lehre das Fähigkeitsbildende für das Menschsein. Die Sprache ist viel, viel mehr als was man ihr heute zuspricht. Sie ist nicht nur eine Kommunikations-Ermöglicherin und eine Informations-Vermittlerin. Begonnen bei ihren Lautkräften bis zum Wunderbau ihrer Grammatik, von der Stimmführung bis zum wegbahnenden, rhythmischen Sprachfluss, in ihrer Fähigkeit Gedanken, Gefühle und Willensimpulse zu tragen, – nach diesen Qualitäten wurde damals auch in dem erwähnten Trivium-Prinzip unterrichtet, – ist die Sprache selbst das geistige Geschehen in der physischen Welt, das das Leben über den Alltag hinausbringt. Rudolf Steiner spricht von übersinnlichen Wahrnehmungen, die wir haben, aber uns nicht als solche bewusst machen. Marie Steiner von Sivers, die die Sprachgestaltung zusammen mit Rudolf Steiner in die Welt brachte, schreibt im gleichen Sinne: «Das Erleben des Wortes führt zu Intimitäten des geistigen Erkennens, die wie eine Entsiegelung wirken der im Menschen verborgenen Geheimnisse.» Es geht also hier nicht um etwas abstrakt Objektives, sondern um ein Erlebnis des Menschen, das die Sprache über den Alltag hinaus erweitern kann, um eine unmittelbare schöpferische Begegnung des Subjektiven des Menschen mit dem Objektiven des Wortes.
WAS ist neu in der Bühnenkunst?
Die Impulse zur Erneuerung der Kunst werden in allen Zeiten in der menschlichen Seele und in seinem Geist gefunden. Nur durch unmittelbare Wahrnehmung von sich selbst, der Mitmenschen, der Zeit und der dem Leben zugrunde liegenden Kräfte kann etwas Neues entstehen. Mittendrin stehend, sowohl im alltäglichen als auch im künstlerischen Leben, hat Rudolf Steiner die Gegebenheiten und die Tendenzen der Zeit erkannt. Er schildert unter anderem in seinem Vor- und Zwischenspiel im ersten Mysteriendrama die Lage der Kunst seiner Zeit und seine Sicht der möglichen Entwicklung. Um diese Entwicklung möglich zu machen, initiierte Rudolf Steiner grundlegende erneuernde Prinzipien für die Bühnenkunst:
Er inaugurierte Mysterientheater, Sprachgestaltung und Eurythmie. «Wirklich Künstlerisches kann nur hervorgehen aus spirituellem Leben.» (R. Steiner)
Die Sprache ist der Ausgangspunkt sowohl für die dramatische Kunst, als auch für die Eurythmie als sichtbare Sprache, da der Leib des Menschen auch ein in die Anschauung gekommenes Wort ist. Wir sprechen nicht nur mit Worten. Jede Geste, Mimik, Haltung, unser Gang usw. sind Sprache. Durch den Bühnenkünstler/die Bühnenkünstlerin kann das Unsichtbare sichtbar und hörbar und das Wort lebendig werden, wenn dieses Wort den ganzen Menschen durchdringt.
So sind die drei Künste Sprachgestaltung, Schauspiel und Eurythmie verwandt mit- und ergänzend für-einander. Daher möchten wir die drei Künste zusammen unterrichten, jede vertieft einzeln und doch miteinander verbunden. Ein so ausgebildeter Künstler kann ein Tor zur Erneuerung der Bühnenkunst werden.
WIE gehen wir vor?
Wir suchen in der Kunst – und entsprechend im Unterricht – Prozesse und Erlebnisse. Wir als Unterrichtende verstehen uns als Anreger und Wegbegleiter. Wir leben es gerne vor, aber jede/r Studierende geht ihren/seinen individuellen Erfahrungs- und Lernweg. Uns interessiert vom ersten Moment an, was jede/r mit- und einbringt. Ziel wäre es, sein eigenes Künstlertum zu entfalten, zu entwickeln, herauszubilden.
Wir streben einen künstlerischen Prozess an, der im Ich des Menschen ansetzt und unmittelbar zum seelischen Erleben wird. Dies ist zugleich das gemeinsame Prinzip der drei Künste.
Wir möchten im Bühnenkunststudium sowohl die Instrumentenbildung als auch die individuelle künstlerische Fähigkeitsentwicklung der Studierenden anregen. So wird beispielsweise durch geist-gerechtes Handhaben der Sprache an Grundübungen ein kontinuierlicher Prozess der Instrumentenbildung vollzogen. Gleichzeitig erhalten die Studierenden durch den Aufbau der Studieninhalte immer neue Herausforderungen, ihren individuellen Künstler/ihre individuelle Künstlerin in sich zu befreien und aus-zu-bilden.
Im Gruppenunterricht geht es sowohl um gemeinsames Üben mit- und aneinander als auch um die Fähigkeitsbildung im gegenseitigen Zuschauen und Zuhören. Außerdem legen wir großen Wert darauf, dass jeder/jede Studierende regelmäßig Einzelunterricht erhält.
Der Unterricht findet sowohl in den einzelnen Künsten vertieft als auch mit zwei oder drei Künsten und entsprechenden Dozenten statt. Die Bühnenprojekte ermöglichen ein Gesamterlebnis.
Im Mittelpunkt des ersten Jahres steht ein Bühnenprojekt, das alle drei Künste beinhaltet und allen Studierenden ermöglicht, in jeder der Künste bis zum öffentlichen Auftritt zu gehen. Der Projektstoff wird im entsprechenden Unterricht zum Ausgangsinhalt und seine Gestaltung zum Endziel. Die Studierenden können daran die Grundlagen in der Instrumentenbildung erarbeiten, das künstlerische Wirken aus der Wahrnehmung des Anderen üben und den individuellen künstlerischen Ausdruck suchen.
Die von Rudolf Steiner initiierte Anthroposophie bietet einen Weg der Entwicklung des menschlichen Ich im Zusammenhang mit dem Weltall. Sie bildet die Grundlage für den Studiengang Bühnenkunst amwort.
Da die Künstler:innen sich in dem gesamten Studiengang sowohl für die Bühne als auch für die «Bühne der Welt» (gemeint sind verschiedene Lebensfelder) vorbereiten, legen wir Wert darauf, dass die Studierenden in Praktika Erfahrungen sammeln (in Pädagogik/Heilpädagogik, Unternehmen, Landwirtschaft etc.). Zielführend wäre es, wenn durch sie auch neue Tätigkeitsfelder eröffnet werden.
Wir verstehen die Ausbildung selbst als einen immerwährenden Prozess.